Reiten im Winter

Weiße Weiden, glöckchenklingende Pferdeschlitten und Atemwölkchen, die aus flauschigen Nüstern aufsteigen. So in etwa sieht die allgemeine Vorstellung von Pferdesport im Winter aus. Die Wirklichkeit ist jedoch anders. Ich persönlich frage mich in jener Jahreszeit immer, ob ich vom Reitsport nicht lieber zum Tischtennis wechseln sollte. Dann könnte ich in Shorts und T-Shirt mit einem Schläger einen Ball jagen, anstatt in Strumpfhose, Reithose, Kniestrümpfen und drei Jacken mit einer Mistgabel angefrorene Pferdeäpfel vom Boden lose zu stochern.

Im Sommer liebe ich die Koppelpflege, da ich dabei Paula und ihre Herdengenossen beim Grasen beobachten kann. Unbemerkt verstreicht die Zeit, während mein Blick über die zufriedenen Pferderücken streift. In der Kälte des Winters sind diese Rücken dick verpackt, weshalb die Koppel dem Laufsteg einer Winterfashion-Deckenshow gleicht. Unruhig pilgern die Tiere im Matsch umher und werfen jedem Besucher vorwurfsvolle Blicke zu. Blicke, die nach weniger Heu und mehr Gras, nach mehr Ausreiten und weniger Halle fragen.

Die im Sommer so heimlich an mir vorbeischleichende Zeit macht sich im Winter mit jeder Minute bemerkbar. Sobald die Temperaturen unter fünf Grad sinken, aktiviert mein Körper sein integriertes Zeitbarometer.  Gemessen daran, wie viele Körperteile mir bereits eingefroren sind, wird mir verdeutlicht, wie lange ich mich schon im Stall aufhalte. Die Messung fängt immer bei den Händen an und spätestens, wenn ich meine Pobacken nicht mehr spüre, weiß ich, es ist Zeit nach Hause zu fahren. Die einzige Alternative ist nur der Weg aufs Klo. Den nehme ich öfter im Winter, denn das Bad ist beheizt. Durch das zeitintensive An- und Ausziehen der vielen Kleidungsschichten verbringe ich dort im Endeffekt fast mehr Zeit als bei Paula, deren Blick aufgrund meiner Abwesenheit immer vorwurfsvoller wird.

Gesteigert wird ihr Frust nur noch, wenn ich ihr schließlich zum Satteln die Winterdecke abnehme. Hätte sie Finger, würde sie mir einen Vogel zeigen und mich damit auf einen gewissen Irrsinn hinweisen, ihr Fell erst zu scheren und sie dann einzudecken. Aber zum Glück ist das mit den Zehen und Fingern bei Pferden schon lange vorbei. Manchmal hoffe ich beim anschließenden Trensen, dass sie das Gebiss nicht sofort annimmt. Doch sie weiß mittlerweile, dass sonst mein eisiger Zeigefinger die Wärme ihres Gaumens sucht und vergönnt mir diese Wohltat. Also werfe ich ihr noch eine Decke über und klettere auf ihren Rücken.

Trotz der vielen Kleidung friere ich erstmal im Schritt, gleich darauf wird genau diese Kleidung mir im Trab den Schweiß heraustreiben, der spätestens in der kalten Zugluft des Galopps an meinen Wimpern festfriert. Genau das ist Reiten im Winter: gefrorene Wimpern und kalte Pobacken. Der einzige Spaß ist, sich auf Ski oder Schlitten ziehen zu lassen. Aber seien wir ehrlich, das könnten wir auch ohne Pferd und somit ist der Winter des Reiters wie der Sommer des Skifahrers – die Sehnsucht auf die nächste Saison.

 

2 Kommentare
  1. Eric
    Eric sagte:

    Sehr schön! Bin nicht unbedingt der Pferdemensch aber finde deine Kolumne bisher sehr gut. Freue mich auf zahlreiche und bald folgende Geschichten!

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